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Das Organische Qualitätsmanagement (OQM) hat seine Wurzeln in der "Natürlichen Gemeindeentwicklung" (NGE). Der evangelische Theologe Christian A. Schwarz und der Diplompsychologe Christoph Schalk gingen im Rahmen eines internationalen Forschungsprojektes der Frage nach, ob es universell gültige Prinzipien für das qualitative und quantitative Wachstum von Kirchengemeinden gibt. Diese Studie wurde zu einem der größten Forschungsprojekte, das jemals über das Wachstum von Gemeinden durchgeführt wurde. Bis Februar 2011 wurden in über 70 Ländern 71.512 Profile für Kirchengemeinden unterschiedlichster Prägung und Konfession erstellt.
Das Ergebnis dieser fortschreitenden Studie bietet eine wissenschaftlich zu verifizierende Antwort auf die Frage: "Was sind die Wachstumsprinzipien, die unabhängig von Kultur, theologischer Prägung und Frömmigkeitsrichtung gelten und können sich diese Prinzipien auch positiv auf Non Profit Organisationen und säkulare Wirtschaftsunternehmen anwenden lassen? Kapitel 1 beschreibt zunächst die Entstehung, Herkunft und Entwicklung des OQM, d.h. den Übertragungsprozess aller Erkenntnisse aus der Entwicklung von Kirchengemeinden auf die Realität von kirchlichen Organisationen und später auf die Anforderungen eines Wirtschaftsunternehmens. Kapitel 2 geht ausführlich auf die Beschreibung der acht Qualitätsmerkmale ein. Hierbei stehen weniger die Substantive (Leitung, Mitarbeiter, Strukturen, Beziehungen etc.) im Mittelpunkt, als vielmehr die Adjektive (bevollmächtigend, gabenorientiert, zweckmäßig, vertrauensvoll etc.). Sie beschreiben, auf was es in Veränderungsprozessen wirklich ankommt.
Zu Beginn des Projektes war nicht abzusehen, ob und in welcher Weise sich die Qualitätsmerkmale und die christlichen Sozialprinzipien als Erfolgsfaktoren auch in anderen Unternehmensformen beweisen können. In Kapitel 3 werden Praxisbeispiele zeigen, dass ein dialogisch arbeitendes OQM nicht nur Kirchengemeinden sondern auch caritativen Unternehmen und sogar Wirtschaftsunternehmen helfen kann zu wachsen und somit erfolgreich zu sein.
Politiker wünschen die Nähe zu den Bürgern und damit die Nähe der Bürger zu ihnen. Diese zunächst wie ein Gemeinplatz anmutende These wird bestätigt durch die im Jahre 2010 erstellte Deutsche Parlamentarier Studie (DEUPAS). Die Studie macht deutlich, dass mit der Bürgernähe der Wunsch nach verstärkter Einbindung der Bürger in politische Entscheidungsprozesse einhergeht. Wie auch in anderen Bereichen sozialer Interaktionen zeigt sich das Internet in diesem Zusammenhang als mögliche Schnittstelle zwischen Bürgern und Entscheidern. So stellt auch die Politik unter dem Begriff E-Partizipation digitale Beteiligungsmöglichkeiten bereit, in der Absicht, Reaktionen und Kommentare der Bürger zu besonderen Angelegenheiten oder Themen zu sammeln. Auch wenn diese Angebote bisweilen erfolgreiche Konzepte beinhalten, werden die meisten nur von einer geringen Anzahl potenzieller Adressaten genutzt. Gleichzeitig steigt abseits dieser strukturierten und problemzentrierten Portale die Begeisterung der Gesellschaft für die Nutzung sozialer Netzwerke, die somit Eingang in den Alltag gefunden haben. Hier ist eine hohe Aktivität auf allen mehr oder minder relevanten Gebieten zu beobachten, unter anderem auch in der Diskussion politischer Themen. Insofern sind soziale Netzwerke für Politiker wichtig und attraktiv, und zwar auf allen politischen Ebenen, wo die sozialen Netzwerke inzwischen in die alltägliche Arbeit integriert sind.
Problematisch ist jedoch der kontinuierliche Anstieg digitaler "Informationsschnipsel" (englisch: information overload). Eine manuelle Filterung relevanter aus der Vielzahl irrelevanter Beiträge erscheint nahezu unmöglich. Folglich werden neue Techniken und Konzepte (Analyse-Software) zur Sammlung und Analyse der Informationsflut präsentiert. Sie versprechen einen leichten und schnellen Überblick, um die relevanten Informationen zu extrahieren. Insofern ist es gerade für die Politik von hoher Dringlichkeit, nach Nutzbarkeit und Nützlichkeit solcher Instrumente zu fragen.
Die vorliegende Arbeit untersucht die Relevanz von Analysesoftware-Ergebnissen für die Verwendung im politischen Alltag. Der Schwerpunkt liegt auf den sozialen Netzwerken Facebook und Twitter als Datenlieferanten. Die Bewertung erfolgt in Kooperation mit und durch politische Entscheider aus dem Deutschen Bundestag, dem Landtag von Nordrhein-Westfalen, der Staatskanzlei des Saarlandes sowie der Städte Köln (Abteilung E-Government) und Kempten (Pressestelle der Stadt Kempten, Allgäu, im Büro des Oberbürgermeisters).
In der Hauptuntersuchung wird für jeden Teilnehmer ein individueller Analysereport erstellt, der mit einem Methodenmix aus qualitativen Verfahren ausgewertet wird. Die Analysedaten werden mit der WeGov-Toolbox, eine Entwicklung des EU-Projektes WeGov und den darin enthaltenen Analysekomponenten erzeugt. Der Fokus liegt dabei auf der Auswertung des Wahlkreises, des lokalen Bereiches sozialer Netzwerke. Im Rahmen dieser Arbeit wird nicht nur der Relevanz von Analysedaten nachgegangen, sondern es wird auch untersucht, ob Bürgernähe oder sogar Bürgerbeteiligung mit den aus der Analysesoftware gewonnenen Ergebnissen und den daraus resultierenden Rückschlüssen und möglicherweise Handlungen positiv vorangetrieben werden kann.
Die Antworten der Teilnehmer führen zu wesentlichen Schlussfolgerungen:
1) Keiner der Teilnehmer geht davon aus, dass Bürgerbeteiligung über diesen Weg gelingt. Anders fällt die Bewertung in Bezug auf eine Realisierung von Bürgernähe aus: Die Teilnehmer bestätigen vereinzelte Ergebnisse, die besagen, dass Bürgernähe über diesen Ansatz, d.h. über die daraus gewonnenen Erkenntnisse unterstützt werden kann. Damit erhalten Politiker Informationen darüber, was die Bürger denken und sagen.
2) Potenzielle Nutzer werden in der Regel solche sein, die zwar Erfahrung mit sozialen Netzwerken besitzen, jedoch keine "Poweranwender" sind. Daher bietet sich der Einsatz der Tools eher auf Parteiebene und in der Parlamentsarbeit an als auf der Ebene des einzelnen Politikers, der eher gewohnt ist, auf Facebook und Twitter direkt zu reagieren, die analytische Arbeit jedoch bevorzugt von den Partei- und/ oder Abgeordnetenbüros erledigen lässt.
3) Vergleicht man die ländlichen mit den urbanen Regionen, zeigt sich, dass die Menge von relevanten politischen Informationen auf dem Land gering ist. Während die Menge öffentlich zugänglicher Informationen in urbanen Regionen relativ groß ist, hat diese Menge in ländlichen Bereichen sehr viel weniger Gewicht.
Die Erkenntnisse aus den Befragungen werden in der vorliegenden Dissertation systematisch erhoben und ausgewertet.
Retrospektive Analyse der Ausbreitung und dynamische Erkennung von Web-Tracking durch Sandboxing
(2018)
Aktuelle quantitative Analysen von Web-Tracking bieten keinen umfassenden Überblick über dessen Entstehung, Ausbreitung und Entwicklung. Diese Arbeit ermöglicht durch Auswertung archivierter Webseiten eine rückblickende Erfassung der Entstehungsgeschichte des Web-Trackings zwischen den Jahren 2000 und 2015. Zu diesem Zweck wurde ein geeignetes Werkzeug entworfen, implementiert, evaluiert und zur Analyse von 10000 Webseiten eingesetzt. Während im Jahr 2005 durchschnittlich 1,17 Ressourcen von Drittparteien eingebettet wurden, zeigt sich ein Anstieg auf 6,61 in den darauffolgenden 10 Jahren. Netzwerkdiagramme visualisieren den Trend zu einer monopolisierten Netzstruktur, in der bereits ein einzelnes Unternehmen 80 % der Internetnutzung überwachen kann.
Trotz vielfältiger Versuche, dieser Entwicklung durch technische Maßnahmen entgegenzuwirken, erweisen sich nur wenige Selbst- und Systemschutzmaßnahmen als wirkungsvoll. Diese gehen häufig mit einem Verlust der Funktionsfähigkeit einer Webseite oder mit einer Einschränkung der Nutzbarkeit des Browsers einher. Mit der vorgestellten Studie wird belegt, dass rechtliche Vorschriften ebenfalls keinen hinreichenden Schutz bieten. An Webauftritten von Bildungseinrichtungen werden Mängel bei Erfüllung der datenschutzrechtlichen Pflichten festgestellt. Diese zeigen sich durch fehlende, fehlerhafte oder unvollständige Datenschutzerklärungen, deren Bereitstellung zu den Informationspflichten eines Diensteanbieters gehören.
Die alleinige Berücksichtigung klassischer Tracker ist nicht ausreichend, wie mit einer weiteren Studie nachgewiesen wird. Durch die offene Bereitstellung funktionaler Webseitenbestandteile kann ein Tracking-Unternehmen die Abdeckung von 38 % auf 61 % erhöhen. Diese Situation wird durch Messungen von Webseiten aus dem Gesundheitswesen belegt und aus technischer sowie rechtlicher Perspektive bewertet.
Bestehende systemische Werkzeuge zum Erfassen von Web-Tracking verwenden für ihre Messung die Schnittstellen der Browser. In der vorliegenden Arbeit wird mit DisTrack ein Framework zur Web-Tracking-Analyse vorgestellt, welches eine Sandbox-basierte Messmethodik verfolgt. Dies ist eine Vorgehensweise, die in der dynamischen Schadsoftwareanalyse erfolgreich eingesetzt wird und sich auf das Erkennen von Seiteneffekten auf das umliegende System spezialisiert. Durch diese Verhaltensanalyse, die unabhängig von den Schnittstellen des Browsers operiert, wird eine ganzheitliche Untersuchung des Browsers ermöglicht. Auf diese Weise können systemische Schwachstellen im Browser aufgezeigt werden, die für speicherbasierte Web-Tracking-Verfahren nutzbar sind.
Eine zutreffende Diagnose über den aktuellen Kenntnisstand der jeweiligen Schülerinnen und Schüler ist notwendig, um adäquat in Gruppenarbeitsprozesse intervenieren zu können. Von diesem Zusammenhang wird in der Literatur weit-gehend ausgegangen, jedoch gibt es bisher kaum empirische Studien, die diesen belegen. Die vorliegende Arbeit widmet sich schwerpunktmäßig dem Interventi-onsverhalten von Studierenden. Dabei wird die prozessdiagnostische Fähigkeit „Deuten“ zugrundegelegt, um unterschiedliches Interventionsverhalten auf diese Fähigkeit zurückführen zu können. Sowohl beim Aufbau diagnostischer Fähig-keiten als auch bei der (Weiter-)Entwicklung des eigenen Lehrerhandelns gilt Reflexion als hilfreich. Entsprechend wird auch das Zusammenspiel von Pro-zessdiagnose und Reflexionsverhalten sowie von Interventionsverhalten und Reflexionsverhalten untersucht.
Für die Erhebung der prozessdiagnostischen Fähigkeit „Deuten“ wurden drei Videovignetten erstellt und in das Videodiagnosetool ViviAn eingebunden. Die Videovignetten zeigen jeweils vier Schülerinnen, die sich mit dem Thema „Ter-me“ beschäftigen. Im Rahmen eines Lehr-Lern-Labores wurden über vier Se-mester hinweg alle teilnehmenden Studierenden dazu angehalten, die Videovig-netten zu bearbeiten. Ebenso konzipierten sie jeweils zu dritt eine Laborstation im Mathematik-Labor „Mathe ist mehr“ und erprobten diese mit einer Schul-klasse. Dabei wurden die Interventionen der Studierenden in die Gruppenarbeits-prozesse der Schülerinnen und Schüler videographiert. Anschließend reflektierten die Studierenden in Kleingruppen über die Erprobungen und über die getätigten Interventionen. Die Reflexionsgespräche wurden ebenfalls videographiert.
Es zeigt sich, dass die Studierenden, die sich zum Zeitpunkt der Erhebung im Masterstudium befanden, noch Entwicklungsspielraum in Bezug auf ihre pro-zessdiagnostische Fähigkeit „Deuten“ besitzen. Im Hinblick auf die Interventio-nen waren responsive Interventionen häufiger angemessen als invasive Interven-tionen, wobei responsive Internvetionen auch vergleichsweise häufiger dazu führten, dass mehr Schülerinnen und Schüler nach der Intervention aktiv waren. Studierende mit höherer prozessdiagnostischer Fähigkeit „Deuten“ intervenierten jedoch häufiger invasiv und tätigten dabei trotzdem angemessenere und aktivie-rendere Interventionen als ihre Kommilitoninnen und Kommilitonen. Entspre-chend scheint sich die prozessdiagnostische Fähigkeit „Deuten“ positiv auf die Interventionen der Studierenden auszuwirken und sollte daher bereits im Rah-men des (Lehramts-)Studiums verstärkt geschult werden.
In der vorliegenden Untersuchung geht es um methodische Fragen der Unterrichtswahrnehmung aus Schülersicht. Dabei werden theoretische Ansätze zur Urteilsbildung aus der Klassenklima- und der kognitiv fundierten Survey-Forschung sowie der Forschung zur Interpersonalen Wahrnehmung diskutiert. Weiterhin werden Modelle zur inhaltlichen Interpretation von Aggregatmerkmalen (sogenannte Kompositionsmodelle) und zum Einfluss sogenannter "Halo"-Effekte berücksichtigt. Die relevanten Aspekte aus den genannten Theorien sowie empirische Befunde zum Einfluss von Fachleistung, Schulnote und Geschlecht auf die Beurteilung des Unterrichts werden in einem Modell zur Unterrichtswahrnehmung aus Schülersicht zusammengeführt. Daneben werden in der vorliegenden Untersuchung Möglichkeiten und Grenzen verschiedener statistischer Verfahren zur Analyse von Daten zur Wahrnehmung des Unterrichts aus Schülersicht aufgezeigt und diskutiert. Dabei geht es um Fragen der absoluten Übereinstimmung von Urteilern vs. der Interrater-Reliabilität. Weiterhin werden Grundlagen und Effekte von Verletzungen der Annahmen mehrebenenanalytischer konfirmatorischer Faktorenanalysen dargestellt, die im Rahmen einer Monte-Carlo-Studie überprüft werden. Datengrundlage der vorliegenden Untersuchung sind im Rahmen des Projekts DESI (Deutsch Englisch Schülerleistungen International) erhobene Fragebogendaten aus 330 Klassen bzw. Kursen der neunten Jahrgangsstufe, sowie im Längsschnitt erhobene Testleistungen in den Bereichen Deutsch und Englisch. Die Ergebnisse der Analysen bestätigen in großen Teilen das zugrunde gelegte theoretische Modell: Es zeigen sich hohe relative Übereinstimmungen der unterrichtsbezogenen Urteile von Schülerinnen und Schülern. Der Einfluss der Kommunikation mit Mitschülern auf die Urteilsbildung zeigt sich v.a. in der Gruppe der Mädchen. Die theoretischen Unterrichtsmerkmale lassen sich als Faktoren auf beiden Analyseebenen (innerhalb von Klassen und zwischen Klassen) nachweisen, wobei diese " bis auf wenige Ausnahmen " ebenen- sowie fachübergreifend nur im Sinne analoger und nicht "isomorpher" Konstrukte interpretierbar sind. Daneben finden sich deutliche Hinweise auf eine eher Lehrkraft- statt Unterrichtsfach-bezogene Wahrnehmung auf beiden Ebenen. Der Itemformulierung (Ich vs. Klassen-Bezug) kommt insgesamt betrachtet eine eher geringe Bedeutung zu. Bezüglich der Unterrichtswahrnehmungen finden sich Einflüsse der oben genannten Prädiktoren insbesondere auf der Ebene innerhalb von Klassen. Auf Klassenebene zeigt sich ein möglicher Einfluss einer "milden" Benotung auf die geteilte Unterrichtswahrnehmung. Die auf beiden Ebenen deutlichsten Effekte auf die Unterrichtswahrnehmung finden sich bei den Globalurteilen bezüglich der jeweiligen Lehrkraft. Zusammengenommen mit den extrem hohen Interkorrelationen der Faktoren innerhalb eines Fachs (die sich jeweils auf dieselbe Lehrkraft beziehen) und den " aufgrund von Effekten auf Schulebene etc. erwartungswidrigen " niedrigen bis nicht vorhandenen fachübergreifenden Interkorrelationen spricht dies in hohem Maße für eine Verzerrung der Unterrichtswahrnehmung im Sinne einer globalen Wahrnehmungstendenz. Die globale Wahrnehmung muss allerdings gleichzeitig überwiegend als Ergebnis von Unterrichtswahrnehmungen betrachtet werden: Hier zeigen sich die auf der Basis empirischer Untersuchungen theoretisch postulierten unterschiedlichen Gewichtungen der einzelnen Unterrichtsmerkmale über verschiedene Klassen hinweg.
Das Lernen und Verstehen dynamischer Sachverhalte kann sowohl anhand von statischen Bildern als auch von Animationen erfolgen. Da die bisher vorliegenden Befunde keine eindeutige Überlegenheit der einen oder der anderen Repräsentationsform erkennen lassen, sind differenziertere Wirkungsanalysen erforderlich. Grundannahme der vorliegenden Dissertation war, dass beide Darstellungsformen unterschiedlich gut für den Aufbau dynamischer mentaler Modelle einerseits und den Aufbau dynamischer perzeptueller Repräsentationen andererseits geeignet sind. Es wurde erstens angenommen, dass dynamische mentale Modelle keine kontinuierlichen mentalen Simulationen ermöglichen, sondern aus einer Sequenz von diskreten prototypischen Prozess-Zuständen (sog. "key states") bestehen und deshalb besser anhand statischer Bilder dieser "key states" als anhand einer Animation konstruiert werden können. Zweitens wurde angenommen, dass perzeptuelle Repräsentationen dynamischer Sachverhalte aus dynamischen Schemata bestehen, die besser anhand einer Animation als anhand von statischen Bildern gebildet werden können. Als Indikator für die Qualität mentaler Modelle wurden Inferenzaufgaben verwendet, bei denen durch Manipulation dieser Modelle neue Informationen zu erschließen sind. Als Indikator für die Qualität dynamischer perzeptueller Repräsentationen wurden Leistungen bei der Kategorisierung von Bewegungsabläufen verwendet. Die erste Annahme wurde am Beispiel der synaptischen Informationsübertragung (nach einer Vorpilot- und Pilotstudie) in einer ersten Hauptstudie mit 61 Probanden überprüft.
Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass die Hypothese eher bei Probanden mit höherem Vorwissen als bei solchen mit niedrigerem Vorwissen zutrifft. Die zweite Annahme wurde am Beispiel des Erkennens der Gangart von Pferden (nach einer Pilotstudie) in einer zweiten Hauptstudie mit 52 Probanden überprüft. Die Ergebnisse zeigten durchwegs Unterschiede in der erwarteten Richtung, die jedoch nicht oder nur marginal signifikant sind. Allerdings führten die Animationen zu einer hochsignifikant geringeren kognitiven Belastung als statische Bilder. Darüber hinaus zeigten sich signifikante Interaktionen mit den räumlichen Fähigkeiten: Probanden mit geringeren Fähigkeiten profitieren bei der Kategorisierung von Bewegungsabläufen bedeutsam mehr von Animationen als von statischen Bildern.
Zahlreiche Untersuchungen weisen darauf hin, dass die Kombination von Texten und Bildern beim Wissenserwerb zu besseren Lern- und Behaltensleistungen führt, als wenn nur mit Texten gearbeitet wird. Dieser Multimediaeffekt ist häufig auch dann zu beobachten, wenn beispielsweise Schüler oder Studierende Bild und Text sequenziert lernen. Einige Arbeiten haben dabei gezeigt, dass die Reihenfolge, in der die beiden Formate verarbeitet werden, großen Einfluss auf den Wissenserwerb hat. Erfolgt die Präsentation des Bildes vor dem Text, gelingt es den Lernenden in der Regel mehr Fakten zu erinnern. Das Phänomen des picture-text-sequencing-Effekts wurde von zwei Forschern aufgegriffen und anhand alternativer Theoriemodelle auf unterschiedliche Weise erklärt. Während einer der Autoren kapazitätsspezifische Merkmale der mentalen Repräsentation des Bildes als Ursache ansieht, macht der andere Autor Interferenzen für den Einfluss der Verarbeitungsreihenfolge verantwortlich. Das Ziel der Arbeit war es daher, zu untersuchen, welcher der beiden Ansätze der Wahrheit am ehesten entspricht. Zu diesem Zweck wurde eine Studie durchgeführt, bei der Verarbeitungsreihenfolge und Informationverhältnis beim Lernen mit multiplen Repräsentationen experimentell variierte. Das Stimulusmaterial bestand aus Texten und Bildern zur Geodynamik, die in einer komplementären und einer kongruenten Version vorlagen. Anders als erwartet, zeigte sich jedoch kein eindeutiges Ergebnis, obwohl die Analyse der Lernzeiten letztlich gegen die Annahme eines besonderen Kapäzitätsvorteils sprach. Eine Anschlussuntersuchung erbrachte die Möglichkeit, Personen, die Texte und Bilder erhalten hatten, mit Teilnehmern zu vergleichen, die nur auf ein Format zurückgreifen konnten. Die Auswertungen ergab Unterschiede hinsichtlich der mentalen Belastung bei äquivalenten Leistungen im Wissenstest. Interpretiert wurden diese Resultate als Hinweis für das Auftreten von Interferenzen, die immer dann entstanden, wenn die Versuchspersonen das Bild nach dem Text lernten. In diesem Zusammenhang hatte die dritte und letzte Untersuchung den Zweck, weitere Belege für die Interferenzannahme zu finden. Anhand von Blickbewegungsparametern, die während des sequenzierten Lernens mit den Texten und Bildern erhoben worden waren, konnten jedoch keine Unterschiede festgestellt werden. Insgesamt ließ sich die Schlussfolgerung ziehen, dass hinsichtlich des sequenzierten Lernens mit Texten und Bildern weiterhin ein großer Spielraum für zusätzliche Forschungsarbeiten besteht.
Das wissenschaftliche Interesse an nichtsuizidalen Selbstverletzungen (NSSV) von Jugendlichen hat in den letzten zwei Jahrzehnten deutlich zugenommen. Hohe Prävalenz- und Komorbiditätsraten sowie die geringe Lebensqualität und das erhöhte Suizidrisiko betroffener Jugendlicher betonen die Wichtigkeit dieses Forschungszweiges. Die vorliegende Dissertation widmet sich intra- und interpersonellen Faktoren, die sich als relevant für die Entstehung und Aufrechterhaltung von NSSV erwiesen haben.
Ziel der Studie 1 war die Untersuchung der Persönlichkeitsmerkmale von Jugendlichen mit NSSV ohne Borderline-Persönlichkeitsstörung (NSSV-BPS) in Abgrenzung zu Jugendlichen mit NSSV und einer BPS (NSSV+BPS), einer klinischen Kontrollgruppe (KKG) und einer gesunden Kontrollgruppe (GKG). Jugendliche mit NSSV erzielten im Vergleich zur KKG höhere Werte auf den Persönlichkeitsdimensionen Neugierverhalten und Schadensvermeidung und niedrigere Werte auf den Dimensionen Beharrungsvermögen, Selbstlenkungsfähigkeit und Kooperativität. Für Jugendliche mit NSSV+BPS zeigte sich ein ähnliches Persönlichkeitsmus-ter, welches jedoch deutlich ausgeprägter war.
NSSV von Jugendlichen beeinflussen das gesamte Familiensystem und gehen häufig mit Konflikten und einer veränderten Familiendynamik einher. Eltern von betroffenen Jugendlichen berichten von einer hohen Belastung, Unsicherheit und Hilflosigkeit. Jugendliche mit NSSV nehmen im Vergleich zu Jugendlichen ohne NSSV mehr Kritik und Kontrolle und weniger Unterstützung von Seiten der Eltern wahr. In Studie 2 wurde das Erziehungsverhalten in Familien von Jugendlichen mit NSSV untersucht und mit einer KKG und GKG verglichen. Im Vergleich zur GKG berichteten Jugendliche mit NSSV weniger mütterliche Wärme und Unterstützung. Mütter von Jugendlichen mit NSSV erzielten im Vergleich zu Müttern in der GKG höhere Psychopathologiewerte und berichteten weniger Elternzufriedenheit als Mütter der KKG und GKG.
Auch Geschwisterkinder leiden unter der veränderten Familiendynamik. Ziel der Studie 3 war die Untersuchung der Geschwisterbeziehung von Jugendlichen mit NSSV im Vergleich zu einer KKG und GKG. Geschwister von Jugendlichen mit NSSV berichteten von einer Viel-zahl von negativen emotionalen und familiären Konsequenzen bedingt durch die NSSV der Schwester. Im Vergleich zu Geschwistern in der KKG und GKG berichteten sie häufiger von Nötigung/Zwang in der Geschwisterbeziehung. Jugendliche mit NSSV gaben im Vergleich zur GKG höhere Rivalitätswerte und weniger Empathie und Wärme in der Geschwisterbeziehung an. Sowohl für Jugendliche mit NSSV als auch deren Geschwister zeigten sich Zusammenhänge zwischen der geschwisterlichen Beziehungsqualität und internalisierenden Symptomen.
Zur genaueren Untersuchung des familiären Klimas, wurde in Studie 4 das Ausmaß an Expressed Emotion (EE) von Jugendlichen mit NSSV, Jugendlichen einer KKG, einer GKG und deren Müttern erfasst und verglichen. Bisherige Studien zeigen einen Zusammenhang zwischen einem hohen Maß an EE (HEE) der Eltern und NSSV der Jugendlichen. Insbesondere elterliche Kritik scheint mit NSSV assoziiert zu sein. Der Fokus bisheriger Studien lag auf dem EE-Status der Eltern, was womöglich ein unvollständiges Bild darstellt. Aus diesem Grund wurden in dieser Studie auch die EE-Ausprägungen der Jugendlichen miteinbezogen. Jugendliche in der NSSV Gruppe und KKG erfüllten im Vergleich zur GKG häufiger die Kriterien für HEE. Jugendliche mit NSSV äußerten gegenüber ihren Müttern mehr verdeckte Kritik und kritischen Tonfall als Jugendliche der KKG und GKG. HEE der Jugendlichen ging mit Emotionsregulationsschwierigkeiten einher. Für die Gesamtstichprobe zeigte sich eine moderate Übereinstimmung zwischen den HEE-Ausprägungen der Jugendlichen und Mütter.
Die Ergebnisse dieser Arbeit beinhalten wichtige Implikationen für die Behandlung von Jugendlichen mit NSSV. Die Unterschiede in den Persönlichkeitsmerkmalen von Jugendlichen mit NSSV mit und ohne BPS betonen die Relevanz der dimensionalen Persönlichkeitsdiagnostik sowie gezielter Behandlungsprogramme für Jugendliche mit NSSV-BPS. Familiäre Konflikte sind häufige Trigger für NSSV, daher sollten Interventionen für Jugendliche mit NSSV sowohl die Verbesserung der Emotionsregulation als auch der familiären Kommunikation und Interaktion zum Ziel haben. Nebst der Reduktion negativer Beziehungsaspekte, sollte in der Psychotherapie auch an der Steigerung positiver Beziehungsqualitäten gearbeitet werden. Die emotionale Belastung von Familienangehörigen weist auf die Notwendigkeit von Unterstützungsangeboten für Eltern und Geschwister hin.
Im Rahmen des vorliegenden Promotionsprojekts wird untersucht, welche Körperideologien in den drei unterschiedlichen Sportfeldern Hochleistungs-, Gesundheits- sowie Erlebnis- bzw. Funsport gegeben sind und welchen gesellschaftswirksamen Einfluss diese Ideologien aufweisen. Im Rahmen der zentralen Forschungsfrage wird des Weiteren erforscht, welche diskursiven Mittel bei Körperideologien im Sportbereich eingesetzt werden, welche Formationen in Bezug auf den Gegenstand, welche Äußerungsmodalitäten, Begrifflichkeiten und Strategien dem Diskurs zugrundeliegen und wer als TrägerIn oder AdressatIn des Diskurses identifiziert werden kann. Außerdem steht die Fragestellung im Fokus, welche Bezüge zu anderen Diskursen bestehen und um welche Diskurse es sich dabei handelt. Körperideologien des Sports werden in diesem Zusammenhang als Vorstellungen von einem (idealen) Körper betrachtet, welche durch den Sport übertragen und in der Gesellschaft verbreitet werden. Dabei wird zunächst der Begriff der Ideologie theoretisch hergeleitet und definiert sowie im Hinblick auf die vorliegende Arbeit als Weltdeutung mit einem Anspruch auf Alleinvertretung aufgefasst. Des Weiteren wird die Gouvernementalitätstheorie von Foucault aufgegriffen und für die Identifizierung der Macht- und Herrschaftsstrukturen in Bezug auf die untersuchten Körperideologien herangezogen. Dabei geht es darum, inwieweit die durch den Sport übermittelten Körperideologien dazu geeignet sind, in einem gouvernementalitätstheoretischen Sinne Führung zur Selbstführung zu ermöglichen. In einer sportsoziologischen Hinsicht beinhaltet der Sport leistungsbezogene Eigenschaften, welche in auf Effektivität abzielenden wirtschaftlichen Prozessen eine grundlegende Voraussetzung darstellen. Im Rahmen der Studie werden für jeden der drei genannten Sportbereiche jeweils zwei Individualsportarten ausgewählt, bei welchen die fokussierten Körperideologien untersucht werden. Während im Bereich des Hochleistungssports Schwimmen und Biathlon und im Bereich des Gesundheitssports Nordic Walking sowie Pilates betrachtet werden, stellen Stand Up Paddling und Parkour die fokussierten Sportarten im Bereich des Fun- bzw. Erlebnissports dar. Für die vorliegende Untersuchung kommt das Verfahren der kritischen Diskursanalyse (KDA) von Jäger zur Anwendung, da dieses für die Rekonstruktion von ideologischen Diskursen geeignet erscheint. Hierfür werden aus den drei Sportbereichen sowohl Print- als auch Onlinepublikationen sondiert und anhand von Strukturanalysen hinsichtlich verschiedener formaler und inhaltlicher Charakteristika untersucht. Des Weiteren wird mit Hilfe der tiefergehenden Feinanalyse jeweils ein Artikel pro Sportart explorativ analysiert, um verschiedene Muster zu vorhandenen Körperideologien in den fokussierten Sportarten und Sportbereichen identifizieren und anhand ausgewählter Textstellen belegen zu können. Bei den Ergebnissen zeigt sich, dass der Körper in den Hochleistungssportarten Schwimmen und Biathlon als formbares Material bzw. als Instrument zur Erbringung sportlicher Höchstleistungen betrachtet und dargestellt wird. Auch im Gesundheitssport wird der Körper als form- bzw. trainierbar hervorgehoben, wobei hierbei die Gesundheit im Fokus steht und mit Schlankheit gleichgesetzt wird. Im Bereich des Fun- bzw. Erlebnissports zeigt sich bei der Sportart Stand Up Paddling der Körper ebenfalls als zu bearbeitendes Objekt. Dagegen wird bei der Sportart Parkour der angenommene Normalismus von Jugendlichkeit anhand der Ergebnisse widerlegt. Deutlich wird, dass als diskursives Mittel vor allem der Körper als formbares Material erscheint. Dabei stehen in Bezug auf die Äußerungsmodalitäten und Begrifflichkeiten der Diskurse vor allem das Leistungsmaximum, aber auch Schlankheit und Fitness im Fokus. Die identifizierten Diskurse sind an die gesamte Gesellschaft adressiert und werden zudem durch sich selbst getragen, wodurch sie nicht nur die Realität abbilden, sondern auch ein Eigenleben in der Form entwickeln, dass sie als Träger von Wissen fungieren.
Gefährdete Weltmacht USA
(2017)
Ziele und Befunde der Arbeit
Das durchgeführte Forschungsvorhaben zeigt durch einen holistischen, gleichzeitig politikwissenschaftlichen wie auch historischen Ansatz Folgendes: Nämlich, warum und wie das liberale, regelbasierte Weltordnungssystem im Untersuchungsraum der US-Präsidentschaften von Clinton bis Obama kontinuierlich durch ein System der realistischen, kurzfristig wirkenden Durchsetzung vitaler Interessen mittels militärischer Instrumentenpräferenz unter fortlaufender militärischer Optimierung ergänzt bzw. ersetzt wird. Dies erklärt auch, warum die „transaktionale Führung Trumps“(1), die nach dem Untersuchungsraum von 1993 bis 2017 mit Außenwirkung die Reduktion idealistischer „Grand Strategy“-Elemente bzw. wohlwollender Ordnungsmacht unter Kostenabwälzung und Vorteilsverringerung europäischer Nato-Verbündeter vornimmt, in Kontinuität zur ausgeübten Führungsmacht der Amtsvorgänger steht. Ergebnisse dieser Dissertation wie die sich ab 1993 immer nachdrücklicher abzeichnende Auflösung der multilateralen Grundordnung legen damit nahe, Trumps bisherige Außen- und Sicherheitspolitik als deutlich spürbares Krisensymptom und nicht als Ursache dieses Abbaus der nach 1945 eingerichteten Weltordnung einzustufen. Diese Auflösung ist mit einer Erosion des letztlich transatlantisch angestoßenen bipolaren „amerikanischen Systems“ gleichzusetzen. Die Implementierung dieses Systems erfolgte als „Lernstunde zweier Weltkriege“ auf Basis der mit der Aufklärung und den amerikanischen Gründungskennziffern eingeleiteten neuzeitlichen Ordnungskonzeptionen: Daher ist diese Auflösung auch ein Indikator für das Scheitern neuzeitlicher Ordnungskennziffern, die sich im „American way of life“ entfalten konnten.
Als ursächlich für die geschilderte Entwicklung wird eine von Clinton bis Obama konstant ansteigende Gesamtbedrohung nachgewiesen, mit der die konsequente Schwächung amerikanischer Vormacht verknüpft ist. Diese fußt u.a. auf der Basis von seit 1979 postulierten Klimawandeleffekten als Bedrohungsverstärker bei erreichter amerikanischer Förderspitze in fossilen Rohstoffen und ansteigendem Ressourcenbedarf im Kontext schrumpfender Rohstoffvorkommen. Weiter sind für den Untersuchungsraum die zunehmende Einwirkung der in den 1980er Jahren begonnenen „US-Konservativen Revolution“ auf die Ausübung der Außen- und Sicherheitspolitik unter Einflusszugewinn von Konzernen und Lobbygruppen auf beispielsweise policy-Implementierung sowie die neuen Rahmenbedingungen zu addieren. Darunter fallen die sich ausformende Digitalisierung, die hohen Ressourcenverbrauch mit sich bringt, und die ansteigende Weltbevölkerung unter spezifischen demographischen Vorzeichen. Darüber hinaus sind beispielsweise die Beibehaltung des bipolar angewachsenen Rüstungssektors als ökonomische Basis militärischer Vormacht und das langsame Abbröckeln der Dollar-Hegemonie seit etwa 1973 zu berücksichtigen. Durch komplexes Zusammenspiel von „Grand Strategy“-Umsetzung gemäß der Prämisse amerikanischen Führungsmachtausbaus unter neokonservativem bzw. christlich-rechtem Einfluss mit asymmetrischen sowie reaktivierten konventionellen Bedrohungsgegenständen, Bedrohungsverstärkern und neuen Rahmenbedingungen wird der lineare Verlauf der Gesamtbedrohung im Zeitraum von 1993 bis 2017 verständlich: Im Kontext der „Grand Strategy“-Ausführungen erklären insbesondere das Bedrohungsabwehr-, Bedrohungsverstärker- und Marktwirtschaftsverständnis der US-Far Right in komplexer Wechselwirkung mit erstarkenden transnationalen Konzernen, Lobbygruppen, Individuen(2), informellen Netzwerken und staatlichen Akteuren in Bezug auf Bedrohungsgegenstände sowie Bedrohungsverstärker(3) im Zusammenhang mit der post-bipolaren, globalen Verankerung amerikanischer Wirtschafts- und Konsummuster das Folgende: Nämlich die Anpassung der amerikanischen Bedrohungsabwehr - unter Aufbau der „imperial presidency“(4) bzw. Einhegung des Systems von „checks and balances“ - samt deren Implikationen auf das bipolare liberale Ordnungssystem. Sodann wird die notwendige Weiterführung in der Nato durch amerikanisch aufgeworfenen Nato-Umbau zur entsprechenden Umsetzung transformierter amerikanischer Bedrohungsabwehr bzw. Legitimierung der systemischen Anpassung begreifbar.
Genauso wird nachvollziehbar, dass die so eingerichtete Bedrohungsabwehr nur kurzfristig abwehrt: Stattdessen verstärkt sie asymmetrische und konventionelle Bedrohung wie auch Bedrohungsverstärker - unter Einleitung von Rüstungsspiralen bzw. Demontierung der Rüstungskontrolle - und damit die Gesamtbedrohung. Dies lässt einen Konfliktausbruch jenseits des bisher Vorstellbaren konstant näher rücken. Gleichzeitig ist der dringende Bedarf an Mobilisierung der transatlantischen Zusammenarbeit im Hinblick auf Förderung der globalen Kooperation staatlicher, aber auch nichtstaatlicher Akteure hinsichtlich der Bedrohungswurzeln samt der sich verschlechternden Voraussetzungen illustriert: Denn mit jedem Anstieg der Gesamtbedrohung ist durch die eingeleitete amerikanische sicherheitspolitische Anpassung und deren Weiterführung in der Nato ein Abbau der regelbasierten Basiskennziffern im Untersuchungsraum verknüpft. Dies reduziert in fortlaufender Konsequenz die Grundlage für oben genannte, konstant zentraler werdende Zusammenarbeit, um eine sukzessive Erosion des bipolaren „amerikanischen Systems“ unter künftigen Dystopien zu verhindern bzw. zumindest zu begrenzen.
Durch die Forschungsergebnisse wird der bisherige Forschungsstand auf den Kopf gestellt, da so beispielsweise gezeigt werden kann, dass mittels der Transformation der Nato keine gleichberechtigte transatlantische Lastenteilung oder eine Weiterentwicklung der Nato gemäß der Nato-Gründungskennziffern erzeugt wird. Dies gilt auch für den europäischen Widerstand gegenüber der tatsächlichen Verankerung der Natotransformationspositionen(5), der auf die Erosion des bipolaren liberalen Ordnungssystems bzw. der US-Vorteilsgewährung sowie so begünstigter Partikularinteressensicherung abhebt. Außerdem wird deutlich, dass eine Kontinuitätslinie in der Bedrohungsabwehr von Clinton bis Obama unter unterschiedlicher Außenwirkung und dem Grundmuster „Battleship America“ vorliegt - und eben nicht eine multilateral ausgerichtete Außen- und Sicherheitspolitik unter Clinton, die als Folge von 9/11 in einen unilateralen Pendelausschlag unter G. W. Bush 43 mündet, der durch die Obama-Administration wieder zurückgenommen wird.
Die Arbeit basiert auf einer umfassenden Fülle an Literatur, die das aufwendige Literaturverzeichnis widerspiegelt: Darunter fallen vielfältige amerikanische und europäische Publikationen, Monographien und entsprechende Sekundärliteratur, wie Biographien, Veröffentlichungen unterschiedlichster Natur wichtiger Vertreter der transatlantischen Forschungselite, Akteure der entsprechenden Politikplanung und -ausführung und wissenschaftliche Artikel aus Fachzeitschriften zu allen Forschungsbereichen bzw. politikwissenschaftlicher Methodik und Theorie. Weiter wurden u.a. Veröffentlichungen bzw. relevante Dokumente von Regierungen, Außenministerien, Verteidigungsministerien, Regierungsorganen, Denkfabriken, universitären Forschungszentren sowie der Nato verwendet.
Struktur der Arbeit
Konkret ist die vorliegende Dissertation in zwei Bände sowie einen Anhangsband unterteilt: Band 1 umfasst Schwerpunkt 1, eine Prozessanalyse unter offensiver neorealistischer Verortung, Band 2 den darauf aufbauenden Schwerpunkt 2, einen Vergleich („structured focussed comparison“) unter defensiver neorealistischer Verortung. Im Anhangsband finden sich ergänzende Ausführungen zu Kapitel 1, Band 1 in Bezug auf den Forschungsstand, Literatur und Quellenlage, theoretische Verortung sowie Wahl des Untersuchungsraumes bzw. ausgewählter europäischer Nato-Partner. Weiter sind ein historisches Kapitel als Voraussetzung zum „process-tracing“ in Kapitel 2, Band 1 und ein Abbildungs- und Abkürzungsverzeichnis wie auch ein Literaturverzeichnis enthalten.
Insgesamt ermitteln die beiden aufeinander aufbauenden Schwerpunkte mittels qualitativer Methoden das Folgende: Nämlich die übergeordnete amerikanische sicherheitspolitische Reaktion auf eine neue Gesamtbedrohung sowie deren Weiterführung und Legitimierungschance in der Nato im Untersuchungsraum von Clinton bis Obama.
Auf Basis des ersten Teils der Hypothese wird in Schwerpunkt 1, Band 1 ein Zusammenhang zwischen der Beibehaltung des bipolaren „US-Grand Strategy“-Ziels amerikanischer Führungs- und Ordnungsmacht sowie bipolarer außenpolitischer „Grand Strategy“-Kennziffern bzw. einer sich komplex entwickelnden neuen Gesamtbedrohung, amerikanischer sicherheitspolitischer Anpassung und der notwendigen Weiterführung in der Nato durch Natotransformation mittels amerikanisch aufgeworfener Natotransformationspositionen hergestellt.
In Schwerpunkt 2, Band 2 wird auf Basis des zweiten Teils der Hypothese der transatlantische Aushandlungsprozess zur Etablierung der amerikanisch vorgeschlagenen Natotransformationspositionen in Augenschein genommen: Vor diesem Hintergrund wird überprüft, ob diese tatsächliche Verankerung bzw. Konkretisierung des Ausbaus amerikanischen Vormacht am Widerstand der ausgewählten europäischen Nato-Bündnispartner Frankreich, Deutschland und Großbritannien scheitert.
Im Gesamtergebnis zeigt sich, dass aufgrund einer sich entwickelnden komplexen, linear ansteigenden Gesamtbedrohung die Chance zum Ausbau amerikanischer Führungsmacht konstant abnimmt. Dies muss mittels amerikanischer sicherheitspolitischer Anpassung kompensiert werden. Die daher erfolgende amerikanische sicherheitspolitische Neuausrichtung auf Basis der eingeleiteten „Revolution im Militärwesen“ modifiziert wiederum die Kennziffern bipolarer kollektiver Sicherheitsgewährleistung. Alles wird mittels tatsächlicher Verankerung der amerikanischen Natotransformationspositionen ermöglicht bzw. legitimiert. Das tatsächliche Erreichen der - die sicherheitspolitische amerikanische Anpassung konsequent weiterführenden - Transformation der Nato ermöglicht eine missionsorientierte, reaktionsbeschleunigende, flexible und globale Sicherheitsprojektion. Außerdem ist die Voraussetzung für „alliances of choice“ innerhalb der Nato geschaffen. Weiter zementiert die Modifikation der „bipolaren Nato“ die mittels sicherheitspolitischer amerikanischer Anpassung eingeleitete Erosion zentraler zivilisatorischer Errungenschaften bzw. Aufgaben bipolarer kollektiver Sicherheitsgewährleistung unter Vorteilsverringerung europäischer Nato-Bündnispartner.
Die tatsächliche Verankerung der Natotransformationspositionen erfolgt mittels der Reaktivierung konventioneller Bedrohung im Kontext der Ukraine-Krise von 2014 und der Erweiterung der Nato-Partnerschaftsringe auf globaler Ebene, ohne diesen den Status eines Nato-Mitgliedsstaates zu gewähren. Damit wird der Bündnisfall nicht globalisiert. Der ausgeübte deutsch-französische Widerstand wird besonders intensiv durch den Einbezug der europäischen Gründungsstaaten befördert, dagegen unterbleibt die Ausbildung einer europäischen Führungstroika durch Frankreich, Deutschland und Großbritannien.
Darüber hinaus zeigt insbesondere die entsprechende Ursachenermittlung, dass trotz konstanter, aufeinander aufbauender amerikanischer sicherheitspolitischer Reaktion unter unterschiedlicher Außenwirkung sowie tatsächlicher Weiterführung in der Nato die Gesamtbedrohung nicht langfristig abgebremst wird: Dies führt zu einem konstanten Anstieg der Gesamtbedrohung unter fortlaufendem Einflussverlust staatlicher Akteure bzw. Machtdiffusion und -konzentration samt einer sukzessiven Chancenerhöhung reaktivierter konventioneller, nuklearer, Cyber- und ökologischer Zerstörungsszenarien. Auf dieser Basis entsteht die Konsequenz einer immer umfassenderen und die Reaktion beschleunigende Präzisionsabwehr unter ansteigender Versicherheitlichung, um die kontinuierliche Einengung amerikanischer Vormacht auszugleichen. Dies erzeugt im Fortlauf einen konstanten Abbau der Strahlungs- und Schlagkraft des liberalen, regelbasierten, bipolaren „amerikanischen Systems“ sowie der Etablierung „idealistischer, liberaler“ „Grand Strategy“-Elemente. Weiter ist damit - auf der Grundlage der aufeinander aufbauenden Natotransformationspositionen sowie Obamas „smart power“(6) im Untersuchungsraum - eine zunehmende Vorteilsverringerung der europäischen Nato-Verbündeten bzw. ein ansteigender Bedarf an US-Kostendämpfung verquickt. Zudem entwickelt sich eine immer geringer werdende Chance zur Entfaltung des postbipolar als „nicht verhandelbar“ postulierten und global ausgebreiteten amerikanischen Lebensentwurfes in individueller, innerstaatlicher Ausprägung: Deren Artikulation erfolgt beispielsweise mittels zunehmendem Rechtspopulismus, Wahl von Außenseiterkandidaten, Zerfall traditioneller Parteiensysteme, isolationistischen Tendenzen unter ethnischer, regionaler Erstarkung, und Ablehnung von Supranationalität oder religiösem Fundamentalismus. Gleichzeitig ist die fortlaufende Erosion der globalen öffentlichen Güter identifizierbar.
Damit ebnet all das oben Genannte den Boden für die Begrenzung amerikanischer wohlwollender Ordnungsmacht bzw. der Handlungsspielräume staatlicher Akteure - und für die Rückkehr zu klassischer Machtpolitik im Kontext entstandener Machtdiffusion bzw. -konzentration. Dies erschwert angesichts der Dringlichkeit einer langfristigen Eindämmung asymmetrischer bzw. konventioneller Sicherheitsbedrohungsgegenstände, -verstärker, -cluster und globalen Rahmenbedingungen folgende Chance: Nämlich die zu transatlantischer Zusammenarbeit in der Nato unter Wiederbelebung der politischen Organisation derselben sowie Erweiterung auf zusätzliche Ebenen und Akteure im Sinne von Vorbeugung bzw. vernetzter Sicherheit zur Erreichung entsprechender globaler Kooperation in Bezug auf Einhegen der Bedrohungswurzeln.
Insgesamt wird durch diese Forschungsarbeit transparent, wie und warum die für den Untersuchungsraum von 1993 bis 2017 antizipierte „Friedensdividende“ und das durch Präsident Clinton postulierte „age of hope“ kaum spürbar wurden.
Fußnoten
(1) Vgl. Braml, Josef (2018), Trumps transaktionaler Transatlantizismus, in: Jäger, Thomas (Hrsg.), Zeitschrift für Außen- und Sicherheitspolitik, Oktober 2018, Volume 11, Ausgabe 4, S. 439-448, Wiesbaden.
(2) Vgl. National Intelligence Council (Hrsg.) (2012), Global Trends 2013: Alternative Worlds (NIC 2012-001), https://publicintelligence.net/global-trends-2030/, letzter Zugriff: 12.04.19. Vgl. dazu auch das „international financial leadership, self-selected at Davos“ bei McCoy, Alfred W. (2017), In the Shadows of the American Century. The Rise and Decline of US Global Power, Chicago.
(3) Vgl. zu Bedrohungsverstärkern beispielsweise Mazo, Jeffrey (2010), Climate Conflict. How global warming threatens security and what to do about it, London, Abingdon.
1990 wurde bereits in Bezug auf den Bedrohungsverstärker Klimawandel für die entstehenden asymmetrischen bzw. konventionellen Bedrohungsgegenstände komplexe Cluster konstatiert: „Over the next half century, the global average temperature may increase by approximately 4 degrees C. (…) All nations will be affected. (…) How much time will there be to confirm the amount of change and then to act? (…) However, many believe that we will have waited too lang to avoid major dislocation, hardship and conflict - on a scale not as yet seen by man“. Vgl. Kelley, Terry P. (1990), Global Climate Change. Implications For The United States Navy (The United States Naval War College, Newport, RI), http://documents.theblackvault.com/documents/weather/climatechange/globalclimatechange-navy.pdf, letzter Zugriff: 30.03.19. Dies lässt Hinweise auf die sich entwickelnde, konstant ansteigende Gesamtbedrohung im Untersuchungsraum von 1993-2017 zu.
(4) Vgl. Schlesinger, Arthur M., Jr. (1973), The Imperial Presidency, Boston.
(5) Die amerikanisch vorgeschlagenen Positionen zur Anpassung der Nato, die Nato Response Force sowie die Global Partnership Initiative, werden als „Natotransformationspositionen“ bezeichnet: Mit deren tatsächlicher Etablierung war eine Transformation der Nato in konsequenter Weiterführung amerikanisch erfolgter sicherheitspolitischer Anpassung verknüpft.
(6) Smart power geht auf Suzanne Nossel, Mitarbeiterin des UN-Botschafters Holbrooke während der Clinton-Administration, zurück: Vgl. Nossel, Suzanne (2004), Smart Power. Reclaiming Liberal Internationalism, http://www.democracyarsenal.org/SmartPowerFA.pdf, letzter Zugriff: 26.08.17. Weiter wird er Joseph Nye im Jahre 2003 als Reaktion auf die unilaterale Konzentration auf das militärische Instrument der G.W. Bush–Ära zugeschrieben. Vgl. Nye, Joseph S. Jr. (2011), The Future of Power, New York bzw. Nye, Joseph S. Jr. (2011), Macht im 21sten Jahrhundert. Politische Strategien für ein neues Zeitalter, München.
Vgl. Rodham Clinton, Hillary (2010), Leading Through Civilan Power. Redefining American Diplomacy and Development, in: Foreign Affairs, November/December 2010, Vol. 89, No.6, S. 13-24.