Abdriftbedingte Pflanzenschutzmittelrückstände in unbehandelten Kulturen auf angrenzenden Flächen
(2020)
Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der Abdrift von Pflanzenschutzmitteln (PSM), die auf Lebensmittelkulturen in angrenzenden Flächen, insbesondere in benachbarte Haus- und Kleingärten, gelangt. In einer Reihe von Windtunnelversuchen wurde die Abdrift von PSM aus Flächen- und Raumkulturen während der Applikation mit zwei verschiedenen Testsystemen nachgestellt. Das Testsystem Flächenkultur simuliert die Applikation auf Flächenkulturen, das Testsystem Raumkultur die auf Raumkulturen. Auf der Nicht-Zielfläche wurden die auf Grund von Abdrift entstandenen Rückstände des verwendeten Tracers Pyranin nach der Applikation entfernungsabhängig auf den Lebensmittelkulturen Kopfsalat, Erdbeeren und Tomaten gemessen. Durch die gleichzeitige Messung der Bodendeposition konnten die Messwerte mit Hilfe von Regressionsgleichungen (R² = 0,88 bis 0,97) in Bezug zu den Abdrifteckwerten (AEW) gebracht werden. Dadurch war es möglich, erste Abschätzungen der Höhe von Rückständen vorzunehmen, die über Abdrift von landwirtschaftlichen Flächen auf benachbarte Lebensmittelkulturen im Freiland gelangen können. Diese Abschätzung ist zunächst limitiert auf die drei Versuchspflanzen. Die Versuche zeigen, dass sich die meisten durch Abdrift entstehenden Rückstände auf Salatköpfen wieder finden, gefolgt von Erdbeeren und Tomaten.
Neben dem experimentellen Teil wurden Analysen mit Geoinformationssystemen (GIS) durchgeführt, um die Nachbarschaftsverhältnisse zwischen landwirtschaftlich genutzten Flächen und Gartenflächen für ganz Deutschland und speziell für Rheinland-Pfalz (RLP) zu analysieren. Dazu wurden für die deutschlandweiten Berechnungen die Daten des amtlichen topographisch-kartographischen Informationssystems (ATKIS) und für die RLP-weiten Berechnungen die Daten des amtlichen Liegenschaftskatasterinformationssystem (ALKIS) verwendet. Beachtet werden muss, dass auf Grund der Datenbeschaffenheit eine Abgrenzung der Gartenflächen zu Wohnflächen nicht möglich ist. Deutschlandweit liegen etwa 1,1 % aller potentiellen Gartenflächen innerhalb eines 5 m Pufferbereichs um Raumkulturen bzw. innerhalb eines 2 m Pufferbereichs um Flächenkulturen. Für RLP sind es 0,75 %. Mit Hilfe eines Landbedeckungsdatensatzes der Fa. RLP AgroScience GmbH und den ALKIS-Daten konnte jedoch die exakte Gartenfläche für RLP auf 47.437 ha bestimmt werden. Basierend auf dieser Datengrundlage liegen 1,2 % der Gartenfläche von RLP innerhalb der genannten Pufferbereiche. Des Weiteren ergaben Berechnungen, dass 3 % der Gärten in RLP direkt angrenzend zu landwirtschaftlich genutzten Flächen liegen.
Im Rahmen dieser Arbeit wurden nicht nur Gärten betrachtet, die an landwirtschaftliche Flächen grenzen, sondern auch Nachbarschaftsverhältnisse zwischen ökologisch und konventionell bewirtschafteten Flächen untersucht. Diese Berechnungen erfolgten mit den Daten des Integrierten Verwaltungs- und Kontrollsystems (InVeKoS). Insgesamt grenzen in RLP 47,1 % aller ökologisch bewirtschafteten Flächen unmittelbar an konventionell bewirtschaftete Flächen an.
Auf landwirtschaftlichen Flächen ausgebrachte Pflanzenschutzmittel (PSM) können über diffuse Eintragswege (z.B. Oberflächenabfluss) auch in Gewässer gelangen, und eine Bedrohung für die aquatische Lebensgemeinschaft darstellen. Zum Schutz der aquatischen Gemeinschaft werden im derzeitigen Verfahren der deutschen PSM-Zulassung bereits bei Bedarf spezifische Anwendungsbestimmungen festgelegt. Über diese Maßnahmen hinaus, können jedoch weitere Ansätze sinnvoll sein.
Vor diesem Hintergrund wurden in der vorliegenden Dissertation Gewässer innerhalb einer Acker- und einer Weinanbauregion in Deutschland hinsichtlich ihrer PSM-Exposition in Folge von Oberflächenabfluss und (mögliche) Effekte auf aquatische Makroinvertebraten untersucht, um zu überprüfen, ob eine Umsetzung von Risikominderungsmaßnahmen in diesen Gebieten notwendig wäre. Die Ergebnisse zeigten, dass Gewässer in beiden Gebieten PSM-Konzentrationen ausgesetzt sind, in Folge derer Effekte auf die Makroinvertebraten zu erwarten sind. In der Ackeranbauregion war die beobachtete Toxizität dabei überwiegend auf die Insektizide Lambda-Cyhalothrin (in der Wasserphase) und Alpha-Cypermethrin (in der Sedimentphase) zurückzuführen. In der Weinanbauregion waren dagegen Rückstände von Fungiziden von übergeordneter Bedeutung und neben organischen Fungiziden wurden in diesen Gewässern außerdem ökotoxikologisch bedenkliche Kupferkonzentrationen in der Wasser- als auch in der Sedimentphase gefunden. In der Ackeranbauregion wurden neben der PSM-Exposition auch Effekte der PSM auf die Gemeinschaft der aquatischen Gemeinschaften im Freiland untersucht. Die Makroinvertebratengemeinschaft wurde insgesamt überwiegend von, gegenüber PSM toleranten Arten dominiert, was eine hohe PSM-Exposition an allen Probestellen vermuten lässt. Diese Vermutung spiegelt sich auch in den erhöhten PSM-Rückständen wider (logTUMax > -2; TUMax: Maximale Toxic Unit per sample), die in den Proben der Sedimentphase festgestellt wurden. An zwei Probestellen nahm die Abundanz und Anzahl sensitiver Arten (indiziert durch das SPEcies At Risk-Indikatorsystem) in Folge toxischer Lambda-Cyhalothrinkonzentrationen in der Wasserphase (logTUMax > -0,6) ab. An gering mit PSM belasteten Gewässern (logTUMax < -3,5) konnte dagegen eine signifikante Beeinträchtigung sensitiver Makroinvertebraten nicht festgestellt werden. Insgesamt zeigen die Ergebnisse, dass in beiden Untersuchungsgebieten die Umsetzung von Maßnahmen zum Schutz der aquatischen Gemeinschaft notwendig wäre.
Für Oberflächenabfluss werden häufig bewachsene Uferrandstreifen als Minderungsmaßnahme vorgeschlagen. Ein mindernder Einfluss auf die PSM-Konzentration mit zunehmender Breite konnte jedoch für die bereits in den Untersuchungsregionen vorhandenen Uferrandstreifen nicht festgestellt werden. Dieses Ergebnis konnte in der Weinanbauregion auf die hohe Anzahl an befestigten Feldwegen und damit verbundener Wegeinleitungen zurückgeführt werden, die den Oberflächenabfluss in konzentrierter Form zügig in Richtung Gewässer ableiten, und damit die Reduktionseffektivität der Uferrandstreifen erheblich reduzieren. Ein ähnlicher Prozess fand vermutlich auch in der Ackeranbauregion statt, in Folge einer hohen Anzahl an Erosionsrillen, die ein flächenhaftes Eindringen des Oberflächenabflusses in den Randstreifen und damit eine effektive Filterung verhindern. Außerdem dürften Entwässerungsgräben, welche den Oberflächenabfluss von den landwirtschaftlichen Flächen in die Gewässer weiterleiten, zu den beobachteten PSM-Konzentrationen trotz breiter Uferrandstreifen beigetragen haben.
Um PSM-Einträge über Oberflächenabfluss effektiv zu reduzieren, sollten Risikominderungsmaßnahmen umgesetzt werden, die auf die jeweilig identifizierten Haupteintragswege fokussieren. Als geeignete Maßnahmen wurden mit Gras bewachsene Feldwege und bewachsene Gräben oder Rückhaltebecken identifiziert. Darüber hinaus kann auch die Optimierung bereits vorhandener Uferrandstreifen hinsichtlich ihrer Reduktionseffektivität sinnvoll sein. Insgesamt zeigen die Daten der beiden Freilanduntersuchungen die große Bedeutung, Maßnahmen spezifisch für die jeweilige PSM-Belastungssituation von Gewässern zu identifizieren. Um diesen Prozess zu unterstützen wurde im Rahmen der vorliegenden Dissertation ein Leitfaden für die Identifizierung geeigneter Risikominderungsmaßnahmen an belasteten Gewässern entwickelt. Basierend auf einer Kartierung expositionsrelevanter landschaftlicher Parameter wird ein Set an geeigneten Maßnahmen für die jeweilige Belastungssituation vorgeschlagen. Anhand einer Bewertung der Effektivität dieser Maßnahmen PSM-Einträge zu reduzieren, ihrer Umsetzbarkeit und zu erwartenden Akzeptanz kann der Anwender schließlich die jeweiligen Maßnahmen zur Umsetzung auswählen. Der Leitfaden leistet damit einen wichtigen Beitrag zur praktischen Implementierung von Minderungsmaßnahmen.